ANNE GRAEFER - JANUARY 12, 2021

Was ist Intersectionality? Intersektionalität unter der Lupe

Intersectionality: Mann trägt ein ‘Black Trans Lives Matter’ T-Shirt auf dem BLM Protest in New York 2020. Photo by @jakaylatoney
“There is no such thing as a single-issue struggle, because we do not lead single-issue lives.” Audrey Lorde 1982

Slutwalk, New York 2011: Auf dem Protestmarsch für sexuelle Selbstbestimmung und gegen Sexismus hält eine weiße Teilnehmerin im Bikinitop ein Protestschild hoch. In schwarzen Buchstaben steht auf gelbem Grund geschrieben: “Woman is the N****R of the World.” Zunächst sagt niemand etwas, bis eine Schwarze Frau vom Organisationsteam einschreitet und sie bittet, das Plakat runterzunehmen.

Laut Autorin Aishah Shahidah Simmons drängen sich zwei Fragen auf: Warum musste erst eine Schwarze Frau einschreiten? Warum haben die weißen Teilnehmerinnen, die nebenher marschierten, den Rassismus nicht erkannt und unterbunden?  Und zweitens: Warum sind viele weiße Feminist*innen so gut darin, die Verantwortung der Männer darin zu erkennen, Sexismus zu beenden, aber erkennen nicht ihre eigene Verantwortung, Rassismus zu beenden?Die Antwort auf diese Fragen bringt uns zum Ansatz der Intersectionality, der die paradoxe Wirkung von eindimensionalen Anti-Diskriminierungsbemühungen zeigt. So kann, wie in dem oben genannten Beispiel, Aktivismus gegen Sexismus durchaus rassistisch sein, wenn man sich nur auf eine Diskriminierungsform fokussiert (in diesem Fall Sexismus) und die andere (Rassismus) außen vorlässt. Um bessere Anti-Diskriminierungsarbeit zu leisten, sollte man also intersektional denken.

Was bedeutet es intersektional zu denken?

Intersectionality, bedeutet zu verstehen, dass Diskriminierung unterschiedliche Gründe und Quellen haben können und sich gegenseitig überlagern und verstärken können (Video). Eine Person kann also auf Grund des Geschlechts diskriminiert werden, aber auch aufgrund ihres Alters, ihrer Behinderung oder ihrer Herkunft. In Bezug auf Diskriminierung bedeutet das, dass Personen häufig von verschiedenen Diskriminierungsformen gleichzeitig betroffen sind.

Eine Schwarze Frau kann also zugleich Betroffene von Sexismus und Rassismus sein kann. Man kann daher in diesem Zusammenhang auch von Mehrfachdiskriminierung sprechen. Dennoch addieren sich die Diskriminierungsformen nicht einfach. Sie entwickeln eine eigene Dynamik. Sie sind sozusagen mehr als die Summe ihrer Teile und verschmelzen zu spezifischen Diskriminierungserfahrungen.
Diagramm Intersektionalität copyright: GenderIQ 2020
Die Rechtswissenschaftlerin Kimberlé Crenshaw, die den Begriff ‚Intersectionality‘ im Kontext von Antidiskriminierungsrecht popularisiert hat, erklärt Intersektionalität anhand des Beispiels einer Straßenkreuzung (eng. Intersection):

„Nehmen wir als Beispiel eine Straßenkreuzung, an der der Verkehr aus allen vier Richtungen kommt. Wie dieser Verkehr kann auch Diskriminierung in mehreren Richtungen verlaufen. Wenn es an einer Kreuzung zu einem Unfall kommt, kann dieser von Verkehr aus jeder Richtung verursacht worden sein – manchmal gar von Verkehr aus allen Richtungen gleichzeitig. Ähnliches gilt für eine Schwarze Frau, die an einer „Kreuzung“ verletzt wird; die Ursache könnte sowohl sexistische als auch rassistische Diskriminierung sein.“ (1989: 149)

Intersektionalität zeigt also, dass strukturelle Diskriminierung vielschichtig und komplex ist.

Geht es bei Intersectionality immer nur um Schwarze Frauen?

Diese Frage liegt im Zentrum der oft hitzigen Debatten in Intersectionality Studies.

Manche beantworten die Frage mit einem klaren ‚Ja‘ und argumentieren, dass Intersectionality durch Popularität und die Ankunft in Europa verwässert wurde. Tatsache ist, dass die historischen Wurzeln von Intersectionality in den Arbeiten Schwarzer, oft auch nicht heterosexueller Frauen liegen, die sich im Feminismus westlicher weißer Mittelschichtsfrauen nicht wiederfanden. Da war immer die Rede von einer gemeinsam erfahrenen Unterdrückung qua Geschlecht, aber es wurde ausgeblendet, dass Frauen nicht nur wegen ihres Geschlechts unterdrückt werden, sondern auch wegen ihrer Hautfarbe und ihrer Klassenzugehörigkeit. Das viel zitierte „Ain't I a Woman?“ (1851) der Feministin und ehemaligen Sklavin Sojourner Truth (1798-1883) benannte dieses zentrale Problem der Frauenbewegung, welches in den 1970er Jahren von Schwarzen Feministinnen in den USA erneut aufgegriffen und als eindimensionales Verständnis von ‚global sisterhood’ verstärkt kritisiert wurde (vgl. Combahee River Collective).

Wenn man nach dem Nutzen von Intersektionalität fragt, ist es wichtig diese Geschichte im Hinterkopf zu behalten, denn es ermöglicht uns, auch in scheinbar progressiven Bewegungen und Maßnahmen unsere weißen Flecken zu sehen: Zum Beispiel,

“wird im öffentlichen Diskurs selten darauf eingegangen, wie viele der Frauen in Führungspositionen eine Einwanderungsgeschichte haben und/oder von rassistischer Diskriminierung betroffen sind – obwohl sie, anders als weiße Frauen, neben sexistischer Diskriminierung auch von rassistischer Diskriminierung betroffen sind” (Citizens For Europe 2018: 16)

Andere argumentieren, dass Intersectionality nicht nur geeignet ist, um Mehrfachdiskriminierungen und die Situation Schwarzer Frauen zu analysieren, sondern auch die privilegierten Positionen einer Gesellschaft. ‚It is a mistake to conceptualize intersectionality as a “race to the bottom” (2013: 814) , schreibt Devon W. Carbano. Er schlägt vor, Intersectionality wie eine Landkarte zu betrachten, die es uns erlaubt, sowohl die Mitte der Gesellschaft als auch die Ränder zu erkunden und sowohl privilegierte als auch depriviligierte Positionen in den Blick zu nehmen. Deshalb gibt es für ihn keinen Grund, warum der weiße, heterosexuelle Mann nicht auch ein gutes Objekt für eine intersektionale Analyse sei.  Mehr noch:

“Framing intersectionality as only about women of color gives masculinity, whiteness, and maleness an intersectional pass” (2013: 841).

Und jetzt?

Intersectionality ist in den letzten 30 Jahren weitgereist (geografisch und disziplinär). Es ist längst kein rein akademisches Konzept mehr, sondern hat den Weg in Aktivismus, in die Diversity-Maßnahmen von Unternehmen und Mainstream-Medien geschafft.

Wie oben angedeutet, wird diese Gentrifizierung des Ansatzes oft kritisch gesehen. Auch die Tatsache, dass Intersectionality nicht mehr nur entlang der Trias von Gender, Race and Class gedacht wird, sondern auch andere soziale Kategorien wie Behinderung, soziale und kulturelle Herkunft, und sexuelle Orientierung beinhalten kann, wird manchmal mit Skepsis gesehen.

Aber egal wo man sich bei dieser Diskussion innerhalb der Intersectionality Studies positioniert, so ist der Grund für den Erfolg des Ansatzes doch deutlich:

Intersektionalität ermöglicht es uns, relativ klar und strukturiert über Identität und ihr Verhältnis zu Macht nachzudenken*: je stärker die Personengruppe vom sogenannten Dominanzgeflecht (weiß, männlich, christlich, heterosexuell etc.) abweicht, umso mehr vergrößern sich bestimmte Benachteiligungen.

Für Organisationen, die ihre Diversity Maßnahmen verbessern wollen, zeigt der intersektionale Blickwinkel, wo die Hebel sind um auf organisationaler Ebene Veränderung zu schaffen. Denn er macht sichtbar, inwiefern verschiedene Ungleichheiten miteinander verknüpft sind und für wen geplante Maßnahmen greifen werden und für wen nicht.

Wenn Sie gerne mehr zu diesem Thema und unsere Diversity Arbeit erfahren möchten, tragen Sie sich gerne in unseren Newsletter ein oder schreiben Sie uns. Wir freuen uns von Ihnen zu hören!

*Interessanter Weise liegt auch hier einer der größten Kritikpunkte am intersektionalen Ansatz. Mehr erfahren

Warum ausgerechnet wir?

“We speak the same language with Anne since our first meeting. She is an open, natural, knowledgeable communicator and a flexible business partner. Happy to develop together with her on our globally implemented Unconscious Bias workshops.”

— Sevkan Bolu, Global HR Manager, Vaillant Group
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