Veröffentlicht: 4.10.2025
Warum Inclusive Leadership heute so dringlich ist
In einer Zeit, in der Unternehmen mit zunehmender Vielfalt – kulturell, generationsübergreifend, genderbasiert, in Denkstilen und Lebenshintergründen – konfrontiert sind, reicht es nicht mehr, „divers“ zu sein. Entscheidend ist, wie Vielfalt tatsächlich gelebt wird. Genau an dieser Stelle setzt Inclusive Leadership an: nicht bloß Führung über heterogene Teams, sondern Führung, die Vielfalt konstruktiv kanalisiert.
Für HR-Abteilungen und Top-Manager ist Inclusive Leadership heute kein nettes Add-on mehr, sondern eine strategische Notwendigkeit. Der War for Talent, steigende Anforderungen an Innovation, der Druck zur Nachhaltigkeit und das Ringen um Mitarbeiterbindung verknüpfen sich direkt mit der Qualität von Führung – und mit der Frage, ob Mitarbeitende sich gesehen, gehört und befähigt fühlen. Unternehmen, die Inclusive Leadership ernsthaft verankern, positionieren sich gegenüber Wettbewerbern als attraktive Arbeitgeber und Innovationsmotoren.
Zudem wächst in der Forschung und in der Praxis das Bewusstsein dafür, dass Standard-Führungsmodelle (z. B. rein hierarchisch, transaktional) in Situationen hoher Komplexität unzureichend sind. Inclusive Leadership liefert eine Antwort auf Herausforderungen wie Remote-Arbeit, virtuellen Austausch, interkulturelle Teams oder hybride Arbeitsmodelle. Wer in diesem Feld führend ist, kann nicht nur intern performanter sein, sondern auch extern als moderne und zukunftsfähige Organisation wahrgenommen werden.
Kurze Geschichte und theoretischer Hintergrund von Inclusive Leadership
Ursprünge in Diversity & Inclusion (D&I)
Die Idee, Führung solle Vielfalt ermöglichen, stammt nicht plötzlich: Sie wurzelt in Bewegungen für Gleichberechtigung, in Organisationsentwicklung und Diversity-Management. Aber klassische D&I-Programme konzentrierten sich oft auf Quoten, Sensibilisierung oder Trainings – mit begrenztem Einfluss auf Führungspraxis und Organisationskultur.
Erst in den 2000er-Jahren begannen Führungstheoretikerinnen, Inclusion als eigenes Führungsparadigma zu definieren – nicht nur als unterstützende Maßnahme, sondern als zentrales Führungsmerkmal. Lynn Shore und Kolleginnen entwickelten in diesem Kontext frühe Konzepte, die „Belonging“ (Zugehörigkeit) und „Uniqueness“ (Einzigartigkeit) als zwei psychologische Grundbedürfnisse hervorhoben: Mitarbeitende sollten sich zugehörig fühlen und zugleich ihre Individualität einbringen dürfen.
Systematisierung & Forschungsausbau
In den letzten Jahren hat sich Inclusive Leadership zu einem aktiven Forschungsfeld entwickelt. Ein systematischer Review von 107 empirischen Studien etwa synthetisiert, dass inklusives Führungsverhalten idealerweise vier Dimensionen umfasst: Förderung der Einzigartigkeit, Stärkung von Zugehörigkeit, Anerkennung und Wertschätzung, Unterstützung organisationaler Maßnahmen für Inklusion.
Parallel dazu entstanden vielfältige Modelle (z. B. Deloitte’s Six Signature Traits of Inclusive Leadership) und Konzepte, welche die Kompetenzen und Haltungen für inklusive Führung operationalisieren.
Auch in Fachzeitschriften und Leadership-Publikationen findet sich eine Zunahme von Beiträgen über inclusive leadership.
Damit hat sich Inclusive Leadership von einem akademischen Konzept zu einer praktischen Führungsdisziplin entwickelt, die Schnittstellen schafft zwischen Theorie, HR-Diagnose und Führungsentwicklung.
Warum Organisationen Inclusive Leadership schätzen (und brauchen)
Förderung von Innovation und Kreativität
Eine der zentralen empirischen Stützen für Inclusive Leadership liegt in der Verbindung zu Innovation. Eine multilevel-Studie mit 356 Mitarbeitenden in 90 Teams fand heraus: Perzeptive inklusive Führung wirkt positiv auf psychologische Sicherheit, und diese wiederum fördert innovative Leistungen – auf Individuumsebene und Team-Ebene.
In weiteren Studien wurde gezeigt, dass Inclusive Leadership relationalen Schweigen („relational silence“) verringert – also das Zurückhalten von Meinung – und dadurch Innovationsverhalten begünstigt.
Verbesserung des Wohlbefindens und der Mitarbeiterbindung
Inclusive Leadership korreliert empirisch positiv mit dem Arbeitswohlbefinden der Mitarbeitenden. Eine Studie aus 2024 zeigt, dass inklusive Führungskraft über den Mediator „Vigor“ (Lebensenergie, Engagement) das Wohlbefinden am Arbeitsplatz steigert. Außerdem wirkt das Ausmaß an entwicklungsorientiertem Feedback als Moderator: Wenn Führungskräfte aktives Feedback geben, verstärkt sich der positive Effekt.
Dies ist nicht nur ein ethischer Wert: Hoch gemessene Zufriedenheit und Engagement senken Fluktuation, Absentismus und Rekrutierungskosten.
Positiver Einfluss auf Diversity Climate und Change-Verhalten
Inclusive Leadership beeinflusst nicht nur Einzelpersonen, sondern ganze Team- und Organisationsklimata. In einer Studie mit Hotellerie-Kräften wurde gezeigt, dass Inclusive Leadership einen positiven Einfluss auf den diversity climate hat – und dieser wiederum Change-orientierte Verhaltensweisen (z. B. Vorschläge zur Verbesserung) fördert.
Ähnliche Befunde liegen vor: Inclusive Führung wirkt als Hebel, um Diversität von einer additiven Größe zu einer kulturellen Ressource zu transformieren.
Förderung von Hilfs- und Bürgerverhalten (Organizational Citizenship Behavior)
Beyond performance metrics, Inclusive Leadership stärkt prosoziale Verhaltensweisen wie Teamhilfe, Mentorenschaft, Coaching oder schlicht alltägliche Unterstützung unter Mitarbeitenden. Eine Studie im Gesundheitssektor (Pflegebereich) zeigt: Inclusive Führung steigert Helping Behavior, vermittelt über psychologische Sicherheit und Engagement.
Solche „weichen“ Effekte sind enorm wertvoll für Organisationsnahbarkeit, soziale Kohäsion und Resilienz.
Kompetenzsignal & Employer Branding
Auf strategischer Ebene sendet eine Organisation, die Inclusive Leadership ernst nimmt, ein starkes Signal: Sie positioniert sich als modern, verantwortungsbewusst und attraktiv. Insbesondere in dassengestützten Medien (z. B. HBR, Deloitte) wird Inclusive Leadership zunehmend als Merkmal zukunftsfähiger Führung diskutiert (z. B. in Beiträgen wie What Makes an Inclusive Leader).
Für HR bedeutet das: bessere Reichweite, positives Image und stärkere Bewerberanziehung.
Was man nicht übersehen darf
Selbstwahrnehmungs-Bias & Haltungsillusionen
Viele Führungskräfte glauben, sie seien inklusiver, als sie wahrgenommen werden. Ein Report zeigt, dass rund ein Drittel der Leader diese Diskrepanz erleben: sie überschätzen ihre Inklusionswirkung.
Ohne validierende Feedbackmechanismen und Fremdwahrnehmung bleibt Inclusive Leadership oberflächlich und wirkungslos.
Mangelnde strukturelle Unterstützung
Selbst die engagierteste Führungskraft kann kaum gegen starre Prozesse, unfaire Bewertungssysteme oder intransparente Karrierelogiken ankommen. Wenn die Unternehmensstruktur inklusionsfeindlich bleibt, wird Führung allein zur Flickschusterei.
Zudem: In manchen Fällen verlagert sich der Fokus zu stark auf individuelles Verhalten, wodurch systemische Ursachen (Bias im Recruiting, algorithmische Vorurteile, Budgetverteilung) ausgeblendet werden.
Kulturelle und nationale Kontexte ignorieren
Inclusive Leadership ist nicht „one-size-fits-all“. In stark hierarchischen Kulturen, in Ländern mit geringer Machtdistanz oder in Unternehmen mit konservativem Umfeld kann ein zu progressiver Stil auf Widerstand stoßen. Das Konzept muss kulturell adaptiert werden – andernfalls wird es abgelehnt oder missverstanden.
Unsere Lösung: Ein operables Framework für Inclusive Leadership
Aus unserer wissenschaftlichen Analyse und Praxiserfahrung heraus schlage wir ein dreistufiges Framework vor, das Führungskräften, HR-Verantwortlichen und Change Agents konkrete Handlungswege bietet. Schreiben Sie uns für mehr Infomratoonen dazu.
Fazit & Ausblick
Inclusive Leadership ist kein Modewort, sondern ein Führungsparadigma, das Wissenschaft und Praxis verbindet. Es ermöglicht es Unternehmen, Vielfalt nicht nur zu managen, sondern produktiv zu nutzen. Die positiven Effekte – von Innovation über Mitarbeiterbindung bis hin zu Organisationskultur – sind wissenschaftlich gut untermauert. Gleichzeitig darf man seine Grenzen und Dilemmata nicht übersehen — nur wer strukturell, methodisch und reflexiv arbeitet, kann nachhaltige Wirkung erzielen.
Quellenangabe:
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